Wir brauchen keine "Mindset-Arbeit"!

Wie er mit der Veränderungsangst einiger Mitarbeiter aus der Babyboomer-Generation umgehen könne, wollte ein Geschäftsführer auf einen Meetup zum Thema Agilität von den anderen Teilnehmern wissen. Nach Klärung einiger Details – wie zum Beispiel, dass er über die Sorgen der Mitarbeiter von einer Führungskraft erfuhr – brachte mich die Antwort einer Kollegin aus der Beratung etwas in Rage. 

Ihr wirklich gut gemeinter Vorschlag lautete, eine externe, neutrale Person in die betroffenen Teams einzuschleusen. Die baue Vertrauen auf und helfe dabei, besagte Ängste abzubauen und Offenheit und Denken für agiles Vorgehen zu ermöglichen.

 

Mir rutschte erst einmal sowas wie "Das glaube ich jetzt nicht!" heraus.

 

Statt am Menschen, müsse doch zunächst mal am System gearbeitet werden, um überhaupt die Grundlage für Agilität zu schaffen. Außerdem wäre dieses "Hinten-rum"-Vorgehen doch nun wirklich nicht vertrauensfördernd! Mein impulsives Rausplatzen tat mir leid, nur als ich später erneut darüber sinnierte, war ich immer noch der Meinung: hier darf eine andere Perspektive her.

 

Wäre ein Erforschen der Angstursachen – tatsächlich durch direktes Ansprechen und vertrauensvolle Gesprächszeit anbieten – nicht vielleicht lohnenswerter? Oder auch der Blick nach innen: Wie war das denn, als ich Angst hatte, wenn ich etwas grundlegend verändern musste? Gab es Menschen, die dabei eine Rolle spielten? Trauten sie mir die Änderung zu? Hätte ich mir andere Dinge von ihnen gewünscht?

Was mir jedenfalls nie geholfen hat, waren Aufforderungen wie zum Beispiel "Einfach mal machen!" oder "Du musst nur an Deinem Mindset arbeiten!" Nicht selten habe ich im Kontext sogenannter agiler Transitionen ähnliches erlebt, gepaart mit der Forderung nach mehr Selbstständigkeit und nach unternehmerischem Handeln durch alle Beteiligten. 

 

Zurück blieben häufig nur die hohlen Phrasen. An klassischen Abteilungsstrukturen orientiert aufgesetzte Projekte mit teilweise bis zu einhundert "Team-Mitgliedern" behinderten ein selbstorganisiertes Vorgehen. Zentrale Projektmanagement-Büros mussten her und – damit man dem Ganzen noch den agilen Hut aufsetzen kann – ein Scrum Master, ein Backlog und so etwas wie Product Owner, also gerne Projektleiter "auf Produkt-Ebene", an deren Seite noch technische Teamleiter gestellt waren. 

Oder es wurden Transitionsteams gebildet und Agile Coaches in die Organisation geschickt, um Maßnahmen zur Einführung von Frameworks und Organisationsmodellen zu orchestrieren, um Teams zu trainieren und sie "ins selbstorganisierte Arbeiten zu begleiten". Doch eine positive Wirkung stellte sich weder durch das reine Coaching neuer Rollen und Methoden geschweige denn über Appelle und "agile Mantras" ein.

Bei auftretenden Schwierigkeiten wird dann gern aufs noch nicht ausgeprägte "agile Mindset" verwiesen, wie auch der treffende Artikel "Mythos agiles Mindset" meines Kollegen Peter Pröll beschreibt. Entsprechende Workshops werden an Frau und Mann gebracht – ja, es gibt sie tatsächlich zuhauf, die Angebote zur Entwicklung einer entsprechenden Haltung. Ach Du meine Güte, ich bin bei Dir, Peter: 

 

Das ist übergriffig! Möchte ich mir (von meinem Arbeitgeber) wirklich suggerieren lassen, ich müsse nur mein Denken ändern, dann klappt's auch mit der Veränderung in Richtung Flexibilität, Effizienz & Co? Können wir uns nicht bitte schön alle und gemeinsam damit auseinandersetzen, was in unseren Systemen uns wirklich behindert? Und das abschaffen?!

"Die Idee war gut, nur bei der Umsetzung hakt es. Man macht die Mitarbeiter für Probleme verantwortlich, die mit der neuen Arbeitsorganisation einhergehen. Und das, nachdem man von ihnen abverlangt hat, bedingungslos an die neuen Formen der Arbeitsorganisation zu glauben oder zumindest so zu tun." 

 

Die Organisationssoziologin und Unternehmensberaterin Judith Muster bringt es im Interview in der aktuellen brandeins-Ausgabe* für mich auf den Punkt: "Eigentlich müssten sich Personalabteilungen vor die Mitarbeiter stellen und sie vor Zumutungen etwa im Namen der Agilität schützen. Stattdessen treiben sie solche Konzepte voran. 

 

Menschen sind keine vollständig verfügbare Ressource, sie stellen der Organisation nur ihre Kompetenz und Arbeitszeit zur Verfügung. Manche Personalabteilungen meinen, sie täten den Mitarbeitern etwas Gutes, wenn sie an deren Mindset arbeiten. In Wirklichkeit sind es Zumutungen."

Mich bringt all das wiederholt zu dem Gedanken: "Gut gemeint" sollte ausgiebig überdacht werden, denn es führt häufig zu ungewollten Ergebnissen. Vielmehr lohnt es sich, zu überprüfen, was Organisationen heute wirklich erfolgreich macht, und den Menschen in ihnen die Freiheit zum autonomen Handeln zu geben. Um benötigtes Coaching und erforderliche Bewusstseinsarbeit kümmern sie sich dann schon ganz von selbst.

*Folgendes brandeins-Interview mit Judith Muster aus 2019 sei weiter Interessierten empfohlen: hier spricht sie über "die Qualität leerer Begriffe, innovative Regelbrüche und die Führung von unten".

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