Vom "steinigen Weg" ist häufig die Rede, wenn es um Veränderung geht. Nicht selten gilt Change als lange, beschwerliche Reise oder wird gar als anstrengende, aber lohnenswerte Besteigung eines Berggipfels angepriesen. Na ja, und weil ich das meistens nicht alleine kann, darf ich schauen, wie ich die anderen dazu "mitnehmen" kann. Weil ja "jeder dort abgeholt werden muss, wo er steht", klar.
Immer, wenn ich solche Formulierungen höre, stößt es sauer in mir auf: Was ist das denn für eine Sicht auf uns Menschen? Stehen wir irgendwo rum und warten? Beziehungsweise wenn, haben wir dann nicht einen Grund dafür? Kein Mensch braucht abgeholt oder zum Change mitgenommen werden. Gerade die aktuelle Situation zeigt doch, dass so ziemlich alle sich verändern und das einfach, weil sie da ist - die Situation.
Jeder Mensch handelt oder eben nicht, auf jeden Fall immer aus intrinsischer Motivation. Strebe ich also zum Beispiel organisationale Veränderung an, kann ich nur dazu einladen. Doch das ist ein anderes Thema.
Sprache wirkt
Warum die Reise-Metapher für die Beschreibung von Veränderungsvorhaben wenig gelungen ist, beschreibt Niels Pfläging in "Change ist so wie Milch in Kaffee geben". Ihr liegt, egal ob bewusst oder unbewusst, die Absicht inne, einen Prozess zu planen. So, wie man es mit Ausflügen und Urlauben eben machen kann: Etappen werden gesetzt und Checklisten für Sightseeing und Aktivitäten geschrieben. Doch dass das Ergebnis von Veränderungen keineswegs vorhersehbar ist und Planung somit versagen muss, erleben wir alle ständig und ist tausendfach begründet.
Nicht nur deswegen sollten wir achtsam mit unseren sprachlichen Bildern und unserer Ausdrucksweise umgehen. Über Sprache gebe ich meine Haltung Preis und andersherum beeinflusse ich diese damit auch. Sprache hat eine Wirkung auf mein Denken und entsprechend mein Handeln. Und auch wenn ich per se niemanden anderen verbal FÜR etwas motivieren kann, könnte Demotivation schon eine Folge sein. Kann nicht zum Beispiel ein achtlos daher gesagtes "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr!" oder "Schuster, bleib bei Deinen Leisten!" Welten zerstören?
Auch die abtörnende Wirkung von "Wir müssen die Mitarbeiter dort abholen, wo sie stehen." kann ich mir ziemlich gut vorstellen. Ein weiteres Exempel für sprachliche Ausrutscher ist ein "Lasst uns die Herausforderungen angehen, tschakka!", wenn es um die erforderliche Lösung von ernsthaften Problemen geht. Nicht nur in brenzligen Situationen kann jeder, der als mündiger Mensch wahrgenommen und behandelt werden möchte, gut auf solche Motivationssprüche und Euphemismen verzichten. Wird dann noch ein "agiles Mindset" gefordert, ist das ebenfalls nicht nur sprachlich ein No Go.
"Die kannst Du in dem Projekt nicht einsetzen; die ist wirklich nicht die hellste Kerze auf der Torte." Wird so über nicht Anwesende gesprochen, kann's toxische Auswirkungen haben. Klar, solche Sätze dienen natürlich nur dem kleinen Lacher für zwischendurch. Oder sie "sind nicht so gemeint" oder müssen "unter uns tatsächlich mal gesagt werden dürfen". Mir fällt dazu nur ein: In jedem Scherz steckt ein Funken Wahrheit und jede Aussage sagt vor allem etwas über ihren Sender aus. Wenn sich sogenannte Führungskräfte so äußern, brauche ich wirklich nicht lange phantasieren, um mir Atmosphäre und Kultur in einer solchen Umgebung vorzustellen.
Alternativen schaffen
Vielleicht ist die Milch-in-Kaffee-Metapher von Niels etwas für Sie? Oder auch meine Idee vom "Genuss eines Rotwein-Schoppens" - kommt dieses Erlebnis einer Transformation nicht viel näher als eine Reise? Und was ist bitte schön mit der Kollegin, die als "nicht so helle" wahrgenommen wird? Was fehlt ihr denn zum Weiterkommen, zum Lernen? Was motiviert und was behindert sie?
Aus meiner Sicht wäre es sowieso der Knüller, würde JEDER in einer Organisation IMMER und von JEDEM statt als "Mitarbeiter*in" einfach als "Kollegin" oder "Kollege" bezeichnet. Und wäre der "Vorgesetzte" auch einfach mein "Kollege" oder mein "Berater" oder "Mentor" - was für eine schöne Vorstellung! Ich bin sicher, damit bin ich nicht allein.
Was auch immer Ihnen einfällt, ich freue mich, wenn Sie Lust auf eine behutsame(re) Wortwahl (bekommen) haben. Kostet sie mich auch einige Anstrengung, bin ich sicher, achtsame Sprache lohnt sich. Denn nicht nur das Denken der anderen könnte sich ändern ;)
Am bewussten Gebrauch unserer Sprache arbeitet auch meine Kollegin Elisabeth Sechser, die in ihren Blogs und Podcasts regelmäßig Lieblingsunworte im Zusammenhang mit Menschen in Organisationen veröffentlicht - vielleicht hast Du auch eins, das Du ihr schicken kannst.
Für an diesem Thema Interessierte dürfte auch der Blogartikel "Sprache schafft Wirklichkeit" meiner Kollegin Luzia Anliker mit Bezug auf "Sprache und Sein" der Autorin Kübra Gümüsay eine anregende Lektüre sein.
Kräftig ausgemistet haben Silke Hermann und Niels Pfläging von Red42 mit ihrem Poster "Macht der Sprache: hier zeigen sie eine ausführliche Sammlung von Begriffen aus dem Organisationskontext, wobei sie die "Organisationssprache des Lichts" die "der dunklen Seite" gegenüberstellen. Diese Liste regt zum Nachdenken und zum Schmunzeln an. Nur war ich auch erschrocken, denn viele Worte der "dunklen Seite" gehen mir nach wie vor über die Lippen. Darauf werde ich in einem Folge-Artikel zu diesem Thema näher eingehen, für den ich mir auch Ihren Input wünsche:
Schreiben Sie mir gern Beispiele für Ausrutscher und für Worte, die Ihrer Meinung nach ausgedient haben dürfen, unten in die Kommentare. An neuen Bildern, Alternativen und Wortschöpfungen bin ich ebenfalls interessiert. Lassen Sie uns Frühjahrsputz betreiben!
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Elisabeth Sechser (Dienstag, 14 April 2020 19:01)
Liebe Anke,
tolle Idee und danke fürs LieblingsUNworte hinweisen.
In meiner nächsten Podcastfolge kommen gleich 2 neue Lieblingsworte für Gutes Neues Arbeiten. Die Re-Gnose und das ökonomische Leistungsfähigkeitsprinzip. Beides auch bald auf bei meiner LieblingsUNwortsammlung zu finden. Ich schick sie mal gleich Dir weiter. lg aus Wien. Elisabeth
Luzia Anliker (Mittwoch, 15 April 2020 15:53)
Liebe Anke - toller Beitrag und vielen Dank für die Quervernetzung. Mein Lieblingswort in diesem Monat: hochfahren....Viele Grüsse Luzia